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Edition KRAUTGARTEN

ZWEI AUSZÜGE AUS DEM NACHWORT VON KLAUS WIEGERLING
(der 1. und der letzte Abschnitt)

„AM ANFANG WAR DAS FEUER. AM ENDE IST DAS FEUER.“


I
Kennen wir Bruno Kartheuser? Ja gewiss doch, einige von uns kennen ihn mehr oder weniger gut. Wir kennen ihn als engagierten Herausgeber und Förderer der Literatur, als Mahner und zuweilen hartnäckigen Erinnerer, der leidenschaftlich selbstzufriedene Ruhe stören kann. Manche ängstigt das. Wir kennen ihn als scharfsinnigen, gelegentlich provozierenden Intellektuellen, der sich öffentlich positioniert, auch wenn er darum nicht gebeten wurde. Wir kennen ihn als Angehörigen einer Minderheit, der es dieser Minderheit aber alles andere als einfach macht, ja der ganz im Gegenteil oft wider deren politischen Ansprüche streitet, deren kulturellen Ansprüche dagegen mit Wort und Tat jederzeit und überall unterstützt, solange diese nicht zu Isolierungen und Abwehrhaltungen führen. Wir kennen ihn als Lyriker, Aphoristiker und gelegentlichen Erzähler, der eine tiefe Verbundenheit zu seiner ostbelgischen Heimat hat, die nicht an der Grenze seines deutschsprachigen Sprengels endet. Wir kennen ihn seit über einer Dekade als akribischen historischen Forscher, der ausgehend von einer kleinen regionalen Facette uns den Kosmos einer unseligen Zeit erschlossen hat, deren Ausstrahlungen bis in die Gegenwart reichen. Wir kennen ihn gewiss auch als Feingeist mit viel Sinn fürs Bukolische, gelegentlich sarkastisch, immer inspirierend und nie langweilend. All das wird in den vorliegenden Essais aus 20 Jahren bestätigt, aber es kommen noch einige Facetten dazu, die erst aus der Zusammenschau der die Zeitläufte begleitenden und artikulierenden Essais sichtbar werden. Die Lektüre der Essais lässt in der Vielfalt der behandelten Themen nicht nur Leitmotive erkennen, sie eröffnet auch Einblicke in eine Unterschicht von Motivationen und Inspirationsquellen, die zwar noch nicht den ganzen Kartheuser sichtbar werden lassen, aber doch wesentlich zur Differenzierung seines Bildes beitragen.


XI
Der Satz Von Homer aus tue ich einen kleinen Schritt in unser Jahrhundert ist keine Anmaßung, schon gar nicht ein Dünkel des Altphilologen, sondern ein Leitmotiv Kartheusers. Die Präsenz des großen poetischen Ausdrucks aus den geistigen Anfängen Europas ist in Kartheusers Essaiistik
überall anzutreffen. Wenn er im abschließenden Text des Bandes davon spricht, dass Schreiben Tiefenströmung schafft, so ist damit gemeint, dass Schreiben, so wie er es versteht, Ausdruck einer totalen Präsenz ist, eben auch eine Präsenz dessen, was aus der Tiefe einer hellen oder dunklen Vergangenheit wirkt. Schreiben erfordert insofern immer ein Höchstmaß an Aufmerksamkeit.
Randvergessen ist zuweilen auch eine Zeit, die medial auf das Angesagte, das Populäre und vermeintlich Urbane fokussiert ist und die Auswirkungen und die Rolle der Peripherie unterschätzt. An den Rändern großer Kulturen werden nicht selten Tendenzen sichtbar, die in den Metropolen
und Zentren aus dem Blick geraten sind. Die kulturellen Wechselwirkungen in den Zentren sind oft marktbestimmt und kurzlebig, die an den Rändern dagegen oft langlebig, erlebt, gelebt und erlitten.
Randvergessenheit ist nicht nur das Schicksal derer, die an den Rändern leben, sondern auch das Schicksal derer, die die Ränder aus dem Blick verloren haben und dem Pars-pro-toto-Prinzip aufgesessen sind. Die französischsprachige Kultur ist nicht Paris und die deutschsprachige nicht Berlin, auch wenn das die eventfixierten Medien suggerieren. Wer auf die Peripherie schaut, wird etwas entdecken, was er in den Zentren nicht entdecken kann. Kartheusers Essais helfen dabei.
Lectio difficilior ist die große Herausforderung, der sich Kartheuser in seinen Essais stellt. Es ist die Herausforderung, seine Themen hörbar und verstehbar zu machen. Um hörbar zu sein, muss der Essaiist vereinseitigen, verstören und provozieren, um verstehbar zu sein, muss er vermitteln, werben und überzeugen. Es ist hier ein Spagat zu vollbringen. Eine lectio difficilior erfordert aber auch Genauigkeit, Geduld und viel Sinn für die gewählte Form. Die gewählte Form muss nicht die des Essais sein. Kartheuser hat viele Facetten, die sich in unterschiedlichen literarischen Genres artikulieren, aber auch in seiner Arbeit als Herausgeber, Kritiker, Literaturmanager und -vermittler. Diese Facetten sind Perspektiven ein- und derselben Vision. In Schreiben schafft Tiefenströmung spricht er vom großen Glück im Kleinen, das ihm als Herausgeber des KRAUTGARTEN beschieden ist. Es ist das Glück, ein Sprachrohr und eine geistige Familie zu haben, die eine, wenn auch kleine, Öffentlichkeit schafft und die nicht zuletzt, bei aller Differenz der Weltsicht, auch ein Stück Heimat verkörpert. Vom Glück, die Stimme erheben und einen Beitrag zum Spracherwerb leisten zu können, davon handeln Kartheusers Essais. Wer Kartheuser kennt, weiß, dass die Ziele, denen er sich verpflichtet hat, viel Engagement und Herzblut erfordern. Es bedarf eines Funkens, der das Feuer entflammen kann, das wir nicht nur in seinem essaiistischen Werk erkennen können. Dieser Funke ist in den Anfängen der abendländischen Kultur zu verorten, und er weist in eine visionäre Zukunft, in der es jedem als des Wortes mächtigen Individuum vergönnt ist, in einer versöhnten offenen Gesellschaft zu leben, deren Identität nicht in der Abgrenzung und der Isolation liegt, sondern in der permanenten Bereitschaft zur Befruchtung und zur kreativen Veränderung. Erst diese Gesellschaft wird nicht befürchten müssen, dass das Feuer erlischt. Vorerst sind es Autoren wie Kartheuser, die es hüten und weitergeben.


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Letzte Änderung: 1.07.2010
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