Nachwort
KLAUS WIEGERLING
INMITTEN DER DINGE
Bruno Kartheusers Reportagen, Analysen und Begegnungen
I
Die vorliegende Sammlung von Reportagen, Analysen und Begegnungen aus drei Jahrzehnten ist kein Sekundärband, kein Nebenwerk, sondern das Komplement zu Bruno Kartheusers Essaiband Am Anfang war das Feuer. Es werden Texte dokumentiert, die in gewisser Weise als Grundlage und Folie seiner essaiistischen, aber auch im engeren Sinne dichterischen Tätigkeiten zu verstehen sind. Es handelt sich dabei keineswegs um ephemere journalistische Arbeiten, die für die alltägliche Information geschrieben sind, sondern um Grundlegenderes; um Themen nämlich, die zwar durchaus die alltägliche Kärrnerarbeit des Herausgebers einer Kultur- und Literaturzeitschrift dokumentieren, die aber nicht an Tagesereignissen hängen bleiben. Tagesereignisse, Besprechungen von Werken und Ausstellungen bilden vielmehr Einstiege in Kartheusers Auseinandersetzungen, die oft mit spitzer Feder geschrieben, oft witzig und amüsant, meist nachdenklich und immer engagiert sind. Es werden nicht nur Einblicke in die Themen und ästhetischen Fragen gegeben, die für Kartheuser als Essaiist, Lyriker, Aphoristiker und fiktionaler Autor von Bedeutung sind, es wird in gewisser Weise auch dokumentiert, was einen engagierten Autor auszeichnet, der bereit ist, sich ganz und gar auf eine Sache einzulassen und sich ihr gegenüber zu verpflichten. Es ergibt sich aus den 39 Beiträgen ein Profil des Autors, ein Spektrum seiner Interessen, die ihren Ausgang fast immer vom eigenen Biotop, einem klassischen Grenzland mit seinen kulturellen und politischen Spezifika, sowie seiner spezifischen Ausbildung zum Altphilologen nehmen und von da ausgreifen auf größere und allgemeinere Zusammenhänge. Die Beiträge des vorliegenden Bandes sind heterogener und anlassgebundener als die der Essaisammlung, das Formenspektrum reicht von der Buchbesprechung über die Vorstellung von Künstlern und die knappe Reflexion und Positionierung bis hin zu Reportagen und Analysen von Zeitereignissen und in der Zeit wirksamen historischen Strömungen. Niemals werden die Themen dem jeweils herrschenden Zeitgeist anverwandelt, und dennoch werden Zeitläufte dokumentiert.
II
Die Sammlung belegt, dass die Themen, die Kartheuser umtreiben, indes sehr viel weiter gefächert sind als es vielleicht für diejenigen den Anschein hat, die vor allem den historischen Forscher und streitbaren Publizisten der letzten Dekade kennen. Auch wenn die historische Arbeit und die Auseinandersetzung mit dem Faschismus und seinen bis in die Gegenwart reichenden Auswirkungen zweifellos einen Schwerpunkt seiner schriftstellerischen Arbeit bilden, so hat er nie den Blick für andere Themen verloren, etwa für ästhetische Fragen der Kunst und Literatur sowie für politische Fragen, die seine engere Heimat, die deutschsprachige Gemeinschaft Belgiens, aber auch Belgien insgesamt, seine Nachbarn und Europa betreffen. Und nicht selten konvergieren politische, historische und künstlerische Fragen. Es lohnt sich, den Blick gerade auch auf die Texte zu lenken, die man nicht mit dem politischen Autor Kartheuser in Verbindung bringt, nicht zuletzt deshalb, weil uns darin auch dessen kontemplative, um tieferes Verständnis bemühte und um künstlerische Positionierung ringende Seite entgegentritt. Es wäre allerdings ein Missverständnis, diese Seite der politisch-öffentlichen entgegenzusetzen. Es gibt keinen Gegensatz zwischen dem Kunstschaffenden, dem Poeten und dem politischen Autor und passionierten Polemiker, und es kann sie im Selbstverständnis Kartheusers auch gar nicht geben. Sein Selbstverständnis als Schriftsteller ist ganz und gar französisch: ein Mann des Wortes kann sich jederzeit zu allen möglichen Dingen äußern. Er kann sich nicht in Schubladenexistenzen aufspalten, sondern nimmt sich das Recht, öffentlich Stellung zu beziehen. Politisches und Poetisches stehen sich nicht fremd gegenüber. Ein ’homme de lettres‘ trennt nicht, ihm ist das Informieren, Berichten und Empören genauso wichtig wie der poetische Ausdruck und die ästhetische Positionierung. Innerlichkeit als geistige Pose allerdings und poetischer Rückzug aus der Welt sind ihm fremd.
III
Gewiss gibt es gelegentliche Annäherungen an die Essaiform, dennoch liegen die Schwerpunkte anders, sie sind sozusagen faktenorientierter und berichtender. In den vorliegenden Texten geht es weniger um essaiistische Diskurse als vielmehr um Information, Standortbestimmung und Parteiergreifung. Dass Kartheuser parteiisch ist, liegt in seiner Haltung als engagierter Autor. Ein engagierter Schriftsteller kann nicht unparteiisch sein. Die historische Arbeit hat ihn sensibel gemacht für gefährliche Unterschichtsströmungen. Parteiisch sein heißt für ihn immer auch eine Wächterfunktion einzunehmen, also frühzeitig zu warnen. Auch wenn dem Leser der eine oder andere Warnruf übertrieben erscheinen mag, so zeigt die genaue Lektüre immer seine Ursache in der ewig gefährdeten Sache der ‚humantitas‘, ohne die es kein gelingendes Leben geben kann. Es geht Kartheuser keineswegs nur um das, was zum Himmel schreit. Gerade das ‚bescheiden‘ Faschistoide, das nette und unbedarfte Zündhütchenhalten ist es, was er aufzuspüren versucht. Parteiisch sein heißt pointieren, herausstellen, markant machen, was so unscheinbar daherkommt, heißt Nebenlinien zu vernachlässigen und nichts einzumoderieren, niemals aber heißt es zu lügen. Kartheuser versucht in seinen Reportagen und journalistischen Arbeiten Aufmerksamkeit für die Themen zu wecken, die ihm wichtig sind; und dies versucht er mit allen Mitteln der Kunst. Polemik ist dazu eine notwendige Ingredienz, ohne die weder Aufmerksamkeit erzielt noch die Dringlichkeit eines Themas erfahren werden kann. Darf man in dieser Weise polemisieren? Ja, ein engagierter Autor darf das nicht nur, er ist zu dieser Art von Polemik genötigt, weil es ihm um eine Sache geht, die nicht wie in der Wissenschaft Gegenstand einer bereits vorhandenen Fachgemeinde ist, sondern sich Aufmerksamkeit erst erkämpfen muss. Niemand muss allen Einschätzungen Kartheusers zustimmen, aber selbst da, wo man ihm die Zustimmung verweigert, wird man nur schwer die Relevanz der Themen, für die er sich engagiert, bestreiten können. Ein Bild des Autors Bruno Kartheuser wäre unvollständig ohne einen Hinweis auf den Witz, den gelegentlich entwaffnenden Esprit, der eine Vielzahl der Beiträge dieses Bandes auszeichnet. Selbst da, wo sich vielleicht beim einen oder anderen Leser Widerspruch regt, überzeugt doch ganz und gar der treffende Ton. Das Amüsement bleibt jedoch immer der Sache untergeordnet, ist kein Selbstzweck.
IV
Wichtige Themen der vorliegenden Texte sind Vorbilder wie Kaplan Rossaint in Zeiten der Bedrohung des Menschen – und das ist exemplarisch die Zeit des Nationalsozialismus – oder Vermittler zwischen Kulturen wie Vodaine oder Lédée, aber auch Aufrüttler und Irriteure wie Hessel und Germoz. Natürlich spielen auch politische Positionierungen und Stellungnahmen in den Texten eine zentrale Rolle. Der vielleicht persönlichste Text ist Quousque tandem, in dem der Zusammenhang zwischen Kartheusers Verankerung in Belgien, seinen Idealen und den Ereignissen, auf die er reagiert, sichtbar wird. Bei der Vorstellung von Künstlern und ihrem Werk wird nur selten Biographisches aufgelistet, immer aber werden grundlegende Intentionen freigelegt. Was macht das Schaffen des Künstlers aus? Wo steht er? Was ist sein Blickwinkel auf die Welt? In jeder Vorstellung findet auch eine Auseinandersetzung mit der Kunst schlechthin statt. Jedes Porträt ist auch ein Dokument der Suche nach künstlerischen Ausdrucksformen und Perspektiven. Das Verstehen des Künstlers ist für Kartheuser immer auch eine Sache der Selbstverständigung. In den Begegnungen wird eine Dimension eröffnet, die den Künstler und sein Schaffen transzendiert. Dokumentiert wird zuletzt immer auch der Erkenntnisgewinn des Vorstellenden selbst. So heißt es am Ende des Textes, der den peruanischen Künstler Antonio Maro vorstellt: „Die künstlerische Wahrheit, ob im Bild, im Gedicht oder in der Komposition, ist nicht plakativ und unmittelbar greifbar. Der Maler, der Dichter, der Musiker betreiben immer nur Annäherung. Den Schleier lüften wir vielleicht im Tod, jener Schreckens- und Lichtsekunde, die wir ein Leben lang von uns weisen und zugleich herbeisehnen.“
V
Als langjähriger Herausgeber des Krautgarten weiß Kartheuser, dass die Existenzberechtigung eines solchen literarischen und kulturellen Periodikums letztlich in der Herstellung einer Gegenöffentlichkeit besteht, d.h. in der Fokussierung von Themen und Texten, die sozusagen an den Feuilletons der großen Tages- und Wochenzeitungen vorbeilaufen. Das bedeutet, denjenigen eine Plattform zu bieten, deren Stimme im Event- und Aktualitätsdiskurs überhört oder ausgeschlossen wird. Es sind oft die unangenehmen Dinge, solche die in kein Eventschema passen und sich im wahrsten Sinne des Wortes schlecht verkaufen lassen. Auch die Künstler, die der Autor vorstellt, sind nur selten die, die im Rampenlicht der großen Feuilletons stehen, zumindest nicht in den deutschsprachigen. Wer sich wie Kartheuser als Vermittler zwischen den Kulturen und den Zeiten versteht, bringt gerne Stimmen zu Gehör, die bislang unbekannt oder gar fremd waren. Wachrütteln, erinnern, sensibilisieren und entdecken, darum geht es in den Texten des vorliegenden Bandes. Kein Buch ist wirklich lesenswert, das nur seinen Autor spiegelt. Und dies ist im vorliegenden Fall nicht der Fall. Der Leser kann zwar einiges über Bruno Kartheuser erfahren, das Auskunft über das Zustandekommen und den Zusammenhang der unterschiedlichen Texte gibt, vor allem aber erfährt er etwas über Ausgeblendetes, Marginalisiertes und Übersehenes der Zeitläufte. Allein dies rechtfertigt bereits die Lektüre. Es wäre schade, sie zu versäumen.
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